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Quellcode nicht verfügbar!

2. Newsletter: April 2006


Schon bevor Richard Stallman 1971 seine akademische Laufbahn am MIT aufnahm, war dessen Labor für Künstliche Intelligenz bereits ein legendäres Hackerparadies. Der Begriff „Hacken stand zu dieser Zeit einfach für das gemeinsame Programmieren und den freien Austausch von Wissen. Zusammen mit Hackerlegenden wie Richard Greenblatt und Bill Gosper tauchte Stallman so in eine Kultur des freien Wissensaustausches ein, von der er selber später sagt: „Ich hatte in den 70er Jahren das Glück, Teil einer Gemeinschaft zu sein, in der die Menschen Software miteinander teilten. Wir entwickelten Software und wann immer jemand ein interessantes Programm geschrieben hatte, wurde es weitergegeben“ (Stallman, in: WOS1, 7/1999). Auf diesem Hintergrund entwickelte Stallman in diesen Jahren den Texteditor Emacs, eine Art Schweizermesser unter den Editoren. Und er entschied sich, das Programm frei an jeden weiterzugeben, unter der Bedingung, dass alle, die am Programm weiterschrieben, diese Neuerungen mit der Emacs-Community teilten.

Ein praktisches Problem: praktisch unlösbar!

Anfang der 80er Jahre kam es - auch infolge der zunehmenden Kommerzialisierung - zu einem Verfall dieser Hackerethik und selbst auf den Systemen des MIT-Rechenzentrums tauchten allmählich Passwörter auf. Als eine Art Schlüsselerlebnis aus dieser Zeit erzählt Stallman gerne eine Episode um einen Netzwerkdrucker am MIT. Es kam nämlich regelmäßig vor, dass jemand einen Druckauftrag abschickte und einige Zeit später in den Raum ging, wo der Drucker stand, nur um festzustellen, dass sich das Papier gestaut hatte oder ausgegangen war. Stallman wollte nun eine Funktion einfügen, die den Druckerstatus durch eine Mailmeldung direkt am Arbeitsplatz anzeigte. Er fand auch jemanden in der Herstellerfirma, der den Quellcode des Druckertreibers hatte: Doch dieser weigerte sich, ihn herauszugeben, da er sich zur Nicht-Weitergabe verpflichtet hatte. In dieser Episode verdichtet sich der neue Geist der Zeit. Ein praktisches Problem stellt sich, doch eine Lösung ist praktisch nicht mehr möglich. Dabei besteht die Lösung einfach nur darin, eine bestehende Software um eine Funktion zu erweitern. Früher hätte man den Autor der Software um den Quellcode gebeten und hätte diesen ergänzt, verändert oder verbessert. Doch jetzt stand vor einer Kooperation von Programmieren eine Mauer namens „Quellcode nicht verfügbar“.

GNU = GNU is not Unix

LOGO-GNU.jpgStallman fragte sich also, was er tun könne, um erneut die Voraussetzungen für die Entwicklung von freier Software zu schaffen und kam zum Schluss, dass man ganz von vorne beginnen müsse: nämlich mit einem freien Betriebssystem. Betriebssysteme waren eines von Stallmans Spezialgebieten und so startete er 1984 das GNU-Projekt mit dem Ziel, ein freies, unix-artiges Betriebssystem zu schreiben, das aber keine einzige Zeile vom geschützten Unix-Code enthält. Das rekursive Akronym GNU steht bezeichnender Weise für „GNU’s not Unix“. Die Wahl fiel deshalb auf Unix und nicht auf ein anderes Betriebssystem, weil Unix sich in der Zwischenzeit bewährt hatte, portabel war und weil es bereits eine rege weltweite Unix-Gemeinde gab, die durch seine Kompatibilität leicht zu GNU wechseln konnte. Schließlich sollte GNU in einer Kooperation von vielen Freiwilligen entwickelt werden.

Das GNU Manifest (1985)

Stallman kündigte zeitgleich seinen Job am MIT, um zu verhindern, dass sein Arbeitgeber Ansprüche auf das GNU-Projekt stellen und Vertriebsbedingungen bestimmen konnte. Zur Erschließung von Finanzierungsmöglichkeiten und Spenden gründete er 1985 die gemeinnützige Free Software Foundation (FSF), welche zunächst die Distribution von Emacs, dann auch den Vertrieb anderer GNU-Software übernahm. Mit den so gewonnenen finanziellen Mitteln bezahlte die Foundation Entwickler dafür, dass sie bestimmte, für eine vollständige Betriebssystemsumgebung notwendige Programme schrieben. Im selben Jahr veröffentlicht Stallman auch das mittlerweile legendäre „GNU Manifest“, in dem er die Grundeigenschaften und die Philosophie Freier Software festschrieb. Wer immer ein Programm gut findet, muss es mit anderen Leuten, die es gut finden, teilen. Wer umgekehrt die Nutzungsmöglichkeiten eines Programms einschränkt, um Geld von den Nutzern zu fordern, verwendet destruktive Mittel. Der wachsenden Tendenz, Informationen und Wissen zu horten, hält Stallman somit Begriffe wie Freiheit, Freundschaft, Gastfreundschaft und Nachbarschaftshilfe entgegen. Im Kern der Vision steht ein freies Softwareuniversum: „Damit ich ehrlich bleiben und trotzdem weiterhin Computer benutzen kann, habe ich mich entschlossen, eine genügend große Sammlung von freier Software zusammenzustellen, so daß ich in der Lage sein werde, ohne jegliche nicht-freie Software auszukommen“, schreibt Stallman im GNU Manifest.

Eine Lizenz zum freien Wissen

Zentrales Instrument zur Absicherung oder bewussten Freigabe von Software ist die Lizenz, unter der sie gestellt wird. Aus diesem Grund machte sich Stallman auch daran, für das GNU-Projekt eigene lizenzrechtliche Bestimmungen zu definieren. Ergebnis dieses Prozesses war die GNU General Public License (GPL), welche den Nutzern einer Software insbesondere folgende 4 Nutzungsfreiheiten gewährt: (1) den Zugang zum Quellcode, (2) die Freiheit, die Software zu kopieren und weiterzugeben, (3) die Freiheit, das Programm zu ändern und (4) die Freiheit, das veränderte Programm unter denselben Bedingungen zu verbreiten. Stallman schreibt aber nicht vor, dass die Weitergabe der Software ausschließlich kostenlos zu geschehen hat. Aber jeder der die Software (auch gegen Bezahlung) erhält, hat Anrecht auf die 4 Freiheiten und auf einen offenen Quellcode. Und selbstverständlich kann er die Software auch weiter verschenken oder verkaufen.

Trotz vieler Jahre Entwicklung fehlte es dem GNU-Projekt auch noch Anfang der 90er Jahre an einem besonderen Stück Software, dem Betriebsystemkern. Mehr dazu aber erst im nächsten Newsletter.

CoCOS-TIPP:

GNU

GNU Manifest

GNU in Wikipedia

Free Software Foundation

Grassmuck: Freie Software

Freie Software auf deshalbfrei.org